Straßen nach Blumen aus Fellbach benannt
Cannstatter Zeitung vom 24.04.2010
„Die Lage ist sonnig, bietet wunderbare Aussicht auf das Neckartal und sichert ein gesundes Wohnen“
Von Olaf Schulze
Anfang der 30er-Jahre hatte die Weltwirtschaftskrise Deutschland fest im Griff. Auf der anderen Seite war günstiger Wohnraum für Familien Mangelware. Das Deutsche Reich gewährte 1932 günstige Darlehen zum Eigenheimbau. Bereits seit den 20er-Jahren hatte es auf Cannstatter Gemarkung Siedlungsprojekte wie im Hallschlag gegeben. Anfang der 30er-Jahre entstanden die Siedlungen Im Geiger und Steinhaldenfeld. 1932 hatten sich zwölf Handwerksmeister mit dem notwendigen Eigenkapital zu einer Aktiengesellschaft zusammengeschlossen, dessen Geschäftsführer Eugen Reuter war. Die Schwäbische Siedlunggesellschaft baute fortan Eigenheime, die für 8500 bis 11 200 Reichsmark zu kaufen waren und realistisch finanziert waren. Der Eigenanteil musste mindestens 35 bis 40 Prozent umfassen. Mit einer eigenen Siedlung am Rande von Steinhaldenfeld hatte es noch 1932 begonnen.
Sommerrain wurde das nächste, noch umfangreichere Projekt.„Während die Siedlung auf dem Steinhaldenfeld in Riegelfachwerk ausgeführt ist, sind die Häuser im Sommerrain ganz massiv. Der umbaute Raum ist größer. Das Obergeschoss ist so gebaut, dass eine zweite Küche oder ein Bad eingebaut werden kann. Im Dachgeschoss befindet sich ein großer Trockenplatz. Der Innenausbau (Türen, Fenster, Treppen, Beheizung) ist besser und solider, aber dafür auch teurer gehalten als im Steinhaldenfeld.“1933 wurde mit dem ersten Bauabschnitt, dem oberen Sommerrain, begonnen. Entwurf und Bauleitung lagen in den Händen des Architekten Karl J. Schmid.
Aufwendige Prospekte und Kataloge mit den Titeln „Das Eigenheim, Quelle neuer Volkskraft“ und „Das Eigenheim des kleinen Mannes“ warben für die neue Siedlung. Am 21. Oktober 1933 hatte die Schwäbische Siedlungsgesellschaft im Sommerrain bereits für 76 Familien Einfamilienhäuser errichtet. Während der Bauzeit hatten die Straßen nur Nummern, erst im November 1933 wurden bei einer Sitzung des Stuttgarter Gemeinderats die Straßen nach in Fellbach gezüchteten Blumenarten benannt: Dahlien, Begonien, Gladiolen und Astern. |
Zweiter Bauabschnitt 1934
Im Frühjahr 1934 begann man mit dem zweiten Bauabschnitt, dem unteren Sommerrain, mit 65 Einfamilienhäusern und einem Wirtschaftsgebäude. Ab März 1935 wurde weitergebaut. Die Preise stiegen, zum Teil waren auch die Grundstücke etwas größer. „Die Lage ist sonnig, bietet wunderbare Aussicht auf das Neckartal und sichert ein gesundes Wohnen“, warb die Schwäbische Siedlungsgesellschaft. Nicht immer ging alles glatt. Teilweise stritten sich die Eigenheimbewerber wegen umgelegter Kosten vor Gericht, es gab auch sonst einige Probleme und Schwierigkeiten. Der Wasseranschluss war nicht immer gewährleistet, mancher musste das Wasser aus vorläufigen Anschlüssen im Garten holen. Die Gärten selbst mussten oft mehrmals umgegraben werden, bis aller Bauschutt beseitigt war und Gemüse, Sträucher und Blumen gesetzt werden konnten. Auch das Geld, die Straßen zu teeren, fehlte zunächst ebenso wie eine Befestigung der Gehwege.
Das Bild der neu entstandenen Siedlung entspricht dem zeittypischen Auffassung des Bauens, nach Einzug der Bauhausmoderne in den 20er-Jahren herrschten nun wieder traditionelle Bauformen mit Klappläden und Satteldach. Die Häuser sind in Reih und Glied gereiht, dennoch: mit ihren guten Durchgrünung und den relativ großen Gärten verwirklichte sich auch hier das seit der Jahrhundertwende in Mitteleuropa propagierte Ideal einer Gartenstadtsiedlung, das bis heute die Wohnqualität des Stadtteils ausmacht.
1935 hatte der Sommerrain schon eine beachtliche Größe und sich als eigenständige Siedlung positioniert. Es entwickelte sich ein Eigenleben, die Freiwillige Feuerwehr wurde ins Leben gerufen. Lebensmittel- und Kurzwarengeschäfte eröffneten, 1937 gab es dann auch eine Annahmestelle der Städtischen Sparkasse und eine Poststelle. Der Siedlerbund hatte sich formiert und regelte gemeinschaftliche Fragen.
Die Mahle-Siedlung
Am 28. Mai 1938 wurden die ersten 42 bezugsfertigen Wohnungen einer Wohnsiedlung der Mahle-Siedlungs GmbH feierlich übergeben und zugleich das Richtfest der Rohbauten gefeiert. Im Vorjahr hatte die Betriebsleitung der Mahle KG und der Elektron Co. MbH, die damals rund 1000 Mitarbeiter zählten, beschlossen, mit 1,2 Millionen Reichsmark 63 Gebäude mit 80 Wohnungen in zwei Bauabschnitten zu errichten. Zu den Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern gehörten im Durchschnitt drei bis vier Ar Gartenland; damit wurde die Grenze der so genannten Volkswohnungen oder Arbeiterwohnstätten im siedlungstechnischen Sinn absichtlich überschritten.
Die Mahlewerkswohnungen wurden ab 2001 verkauft an private Interessenten, die die Häuser an die heutigen Bedürfnisse umgebaut haben. |