Artikel aus der Stuttgarter Zeitung/NECKAR vom 01.07.2011
Neckarvororte
Stuttgart-Münster - Ein langer Weg bis zur Vereinigung
Von den ersten Gesprächen bis zur Eingemeindung Münsters
hat es fast 30 Jahre gedauert. Am Wochenende feiert der Stadtbezirk den
80. Jahrestag dieses Ereignisses. Cannstatt, Untertürkheim und Wangen
sind früher eingemeindet worden.
Von Annina Baur
Außergewöhnlich lange haben die Gemeinde Münster und die Stadt Stuttgart
umeinander geworben, bis sie zueinander fanden. "Münster bemühte sich
erstmals um 1900 um einen Anschluss an Stuttgart, nachdem bekannt
geworden war, dass die Vereinigung der Städte Cannstatt und Stuttgart
bevorstand", sagt Rolf Zondler vom Arbeitskreis Historisches Münster.
Die Gemeinde wandelte sich damals von einem landwirtschaftlich geprägten
Dorf zu einem Arbeiterort. Innerhalb von fünf Jahren war die
Einwohnerzahl kurz vor der Jahrhundertwende von 750 auf 2735 Einwohner
geschnellt. Die Gemeindeverwaltung befürchtete, dass sie den daraus
entstehenden sozialen Aufgaben nicht gewachsen sei. In einer Besprechung
am 16. Juli 1900 zeigte Stuttgart den Münsterern jedoch die kalte
Schulter.
Nachdem es der Gemeinde in den folgenden Jahren gelang,
diverse metallverarbeitende Betriebe, die Lokomobilfabrik Assmann &
Stockder sowie die Zuckerfabrik auf ihrer Gemarkung anzusiedeln, war
ein Anschluss an Stuttgart zunächst kein Thema mehr. Ein neuerlicher
Anstoß zur Eingemeindung ging dann 1903 nicht von der Gemeinde, sondern
von den Industriebetrieben aus, die sich durch einen Anschluss an
Stuttgart bessere Entwicklungsmöglichkeiten erhofften. Die zu
erwartenden Steuereinnahmen scheinen in Stuttgart zu einem Umdenken
geführt zu haben. 1904 erklärte das Schultheißenamt Stuttgart, dass es
einer Eingemeindung Münsters freundlich gegenüberstehe. Die folgenden
Verhandlungen scheiterten jedoch im Dezember desselben Jahres.
"Stuttgart wollte ganz nahe bei Münster eine Kläranlage bauen, was die
Gemeinde keinesfalls zulassen wollte", sagt Zondler.
Ein weiterer
Vorstoß erfolgte erst nach dem ersten Weltkrieg. Wegen der hohen zu
erwartenden Kosten am Neckarkanaldurchstich bemühte sich die Gemeinde,
Verhandlungen aufzunehmen. Stuttgart jedoch hatte kein Interesse. Auch
weitere Gesuche 1920 und 1921 im Zusammenhang mit den Eingemeindungen
von Hedelfingen, Obertürkheim, die 1922 stuttgarterisch wurden, wurden
abgelehnt. Konkrete Vertragsverhandlungen begannen erst im Frühjahr
1930. Am 15. Februar 1931 stimmten 82 Prozent der Münsterer Bürger für
eine Eingemeindung.
Vollzogen wurde diese offiziell am 1. Juli 1931.
Es
war für beide Partner eine gute Partie: Münster brachte ein Reinvermögen
von 2,7 Millionen Reichsmark mit in die Ehe. "Die Mehrheit der
Bevölkerung freute sich auch über den Zusammenschluss", sagt Zondler.
Dieser hätte Vorteile gebracht wie den Ausbau der Schule, den Bau neuer
Straßen und Wasserleitungen. Nachteile habe Münster erst im Lauf der
Jahre zu spüren bekommen: "Von der Eingemeindung bis 1984 hat Münster
fast 140 Hektar Fläche an Bad Cannstatt, Zuffenhausen und Mühlhausen
verloren", sagt Zondler. So wurde Münster zum kleinsten Stuttgarter
Stadtbezirk.
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Während in Münster die Eingemeindung als positive
Entwicklung empfunden worden ist, herrschten 26 Jahre früher ein Stück
neckarabwärts ganz andere Gefühle vor. "Was ein waschechter Cannstatter
ist, verspürt nicht den Drang in sich, ob dieses Jubiläums in einen
Freudentaumel auszubrechen", sagte der Cannstatter Heimatforscher Hans
Otto Stroheker anlässlich des 75. Jahrestags der Vereinigung von
Cannstatt und Stuttgart. Diese war am 1. April 1905 vollzogen worden,
wofür der damalige Cannstatter Bürgermeister Oskar von Nast von vielen
Cannstattern als Verräter beschimpft worden war. Doch das damalige
Stadtoberhaupt hatte wenig Wahl: Cannstatt war hoch verschuldet und
hätte notwendige Investitionen wie etwa den Bau von Straßen und
Straßenbahnen, eines Schlachthofs und eines Elektrizitätswerks nicht
alleine bewältigen können. Für Stuttgart war die Braut trotz der
Schulden in Höhe von 4,5 Millionen Mark attraktiv: Die Stadt benötigte
Platz für Wohnungen und die Ansiedlung von Industrie und war ungünstig
gelegen: Sie brauchte einen Zugang zu einem möglichst großen, offenen
Gewässer wie dem Neckar.
Gleichzeitig mit Cannstatt wurden Wangen
und Untertürkheim eingemeindet. Während Wangen, das sich von jeher
stärker zu Stuttgart gehörig gefühlt hatte, seither als Vorort von
Stuttgart geführt wurde, bestanden die Untertürkheimer auf dem Titel
Vorstadt. "Davon zeugt bis heute die Stadtkirche", sagt der
Bürgervereinsvorsitzende Klaus Enslin. Die Bürgerinnen und Bürger hätten
den Zusammenschluss mit gemischten Gefühlen erlebt: "Einerseits war man
traurig über den Verlust der Selbständigkeit. Andererseits waren die
Menschen stolz darauf, zur Landeshauptstadt zu gehören." Obwohl die
Gemeinde ebenfalls hoch verschuldet war - kurz vor der Vereinigung war
kräftig in den Bau einer neuen Kelter und eines Kraftwerks investiert
worden - sei Untertürkheim für Stuttgart wichtig gewesen: "Es war die
einzige Gemeinde, die selbst Strom produzierte", sagt Eberhard Hahn vom
Bürgerverein. Nicht zuletzt seien viele Unternehmen in Untertürkheim
angesiedelt gewesen, allen voran Daimler.
Wesentlich später, im
selben Jahr wie Münster, ist der Stadtteil Rotenberg eingemeindet
worden. "Als Selbstversorger waren die Rotenberger relativ unabhängig",
sagt Hahn. Überdies hätte sich die Gemeinde stark zu Uhlbach und auch
Esslingen gehörig gefühlt. Stuttgart konnte Rotenberg durch finanzielle
Zugeständnisse locken: "Im Eingemeindungsvertrag wurde der Gemeinde ein
neues Schulhaus sowie der Bau eines Versammlungssaals zugesichert", sagt
Enslin. In dem damals gebauten Schulhaus befindet sich heute das
Heimatmuseum des Bürgervereins.
Noch später ist Mühlhausen stuttgarterisch geworden: Am 1. Mai 1933 ordnete der
nationalsozialistische Gauleiter an, Feuerbach, Weilimdorf, Zazenhausen
und Mühlhausen der Stadt hinzuzufügen. Hofen war bereits 1929
eingemeindet worden. Am längsten unabhängig waren im Neckartal Uhlbach
und Rohracker. Beide Stadtteile gehören seit 1937 zu Stuttgart. Die
Nazis hatten befürchtet, Stuttgart könnte zu einer "Stadt ohne Land"
werden und hatten in diesem Jahr kurzerhand die Landkarte umzeichnen
lassen. Gegenwehr gab es nicht. Die Gemeindeoberhäupter hatten ohnehin
seit den Eingemeindungen Hedelfingens und Obertürkheims 15 Jahre zuvor
befürchtet, dass ihre kleinen Orte die sozialen Aufgaben nicht meistern
würden. |